Das Taxi, das keiner braucht

Fast 4 Uhr.

“Stand Fliegerhorst?”

Na Gott sei Dank. Nach 30 Minuten endlich mal wieder ein Lebenszeichen von der Zentrale. Ich wollte gerade wieder weg fahren. Wie kann man auch nur so bescheuert sein, sich hier um diese Zeit hinzustellen. Na was solls,   Hauptsache weg von hier.

“Wagen 82 am Fliegerhorst.”
“Wagen 82 nach Metjendorf zur Eibenstraße 64 bei Meier. Das Ganze um 4 Uhr 15. Gute Fahrt!”
“Alles klar.”

Haha, gute Fahrt, das kenne ich. Geht mit Sicherheit nur um die Ecke.  AuĂźerdem ist mein Tank voll, und weite Touren kommen eh nur, wenn der Sprit alle ist.

Na dann mal los, eben noch zur Tankstelle, eine Schokolade und ne Cola kaufen. Und auf gehts zur Eibenstraße. Obwohl ich langsam fahre, bin ich 5 Minuten vor der Zeit da. Meistens sind die Fahrgäste ja eher reisefertig. Unverkennbar habe ich gleich das richtige Haus angepeilt: Licht überall, jede Menge Koffer vor der Tür.

“Moin!” Die Leute sind ja richtig wach. Keine zugeqollenen Augen schauen mir da entgegen.
“Moin! Soll ich schon das Gepäck einladen?”
“Ja, das wäre nett. Ich hoffe, es paßt in Ihren Kofferraum rein. Wir sind zu viert und haben erst gerade beim Packen gemerkt, wieviel es ist. Ein Kombi wäre besser gewesen, aber das konnten Sie ja nicht wissen.”
“Ich will mal sehen, obs rein paßt.”

Gar nicht so leicht. Mein Fahrgast hat recht. Zwei Riesenkoffer und jede Menge Kleinkram, das wird eng. Eine Minute, zwei Minuten, die ersten SchweiĂźperlen rinnen das Gesicht runter. Koffer rein, erst quer, dann lang, irgendwie muĂź es ja gehen. Und nachdem das geschafft ist, den Rest hinein gestopft. Irgendwie hat ein  altgedienter Fahrer ja einen Blick dafĂĽr, ob das Gepäck die Drangsalierung aushält oder nicht.

Und paĂźt! Endlich.

Bange Sekunden folgen: Ich hab vergessen, vorher nach dem Fahrtziel zu fragen. Bei einer Fahrt um die Ecke hätte ich doch lieber einen Kombi nachbestellen sollen.

Ein mehrfaches “Moin!” erschallt vom Hauseingang her. Schon ein bißchen älter und auch ziemlich gut im Futter, die vier. Wenn die eingestiegen sind, darf mich die Polizei nicht mehr auf die Waage stellen. Egal, die sehen nett aus, da lad ich doch nicht wieder alles aus.

“Moin! Wo darf ich Sie hin bringen?”
“Wir müssen zum Flughafen nach Bremen.”

Na bitte, war doch kein Foppen mit der Guten Fahrt.

“Na denn mal los. Ich hoffe, Sie sitzen alle bequem. Wenn Ihnen während der Fahrt zu warm oder kalt wird, sagen Sie das bitte, ich stell die Heizung dann entsprechend ein.”
“Ja gut, aber fürs erste ist es genau richtig.”
“Soll ich in Bürgerfelde auf die Autobahn fahren, oder wollen Sie quer durch Oldenburg, das spart ein paar Mark?”
“Fahren Sie ruhig gleich auf die Autobahn, auf die paar Mark kommts bei der Strecke ja nicht an.”

Ofenerfelder StraĂźe, Metjendorfer Land, AlexanderstraĂźe und ab auf die BAB. Irgendwie kommt mir das alte Lied von Kraftwerk in den Sinn. “Wir fahrn fahrn fahrn auf der  Autobahn ...” Ganz schön lange her, 1975 oder so. Und vor ein paar Wochen wurde die Platte in der Zeitschrift Musik-Express von Kritikern zur besten deutschen Rock-Platte gewählt. Ich versinke in Gedanken. “Radio-Aktivität”, “Trans Europa Express”, “Die Mensch Maschine”, “Computerwelt” und so weiter. Die haben ganz schön viel Platten gemacht. Hab ich eigentlich auch eine im Schrank stehen? Irgend so eine rote  Maxi glaub ich. In den Köpfen ist nur ein Lied ĂĽbrig geblieben: “Wir fahrn fahrn ...”

“Sagen Sie mal, hören Sie nie Radio?”, unterbricht mich mein Nachbar zur Rechten.
 â€śNormalerweise nie, höchstens Nachrichten. Mich stört das eher. Ich lese viel und dann ist da noch der Funk. Aber ich stell es gern an, wenn Sie möchten.”
“Nein, nein. Ich wundere mich nur. Bei Ihren Kollegen dudelt es immer irgendwie aus dem Radio. Und dann auch noch die absonderlichsten Sender. Entweder läuft da das Wum-ta-ta der Volkstümlichen Hitparade und Christian Anders fährt gerade mal wieder mit dem Zug nach Nirgendwo. Oder es kommt diese merkwürdige, um nicht zu sagen grauenhafte, Hiphop-Musik. Für mich ist das alles mehr hop als hip. Wenns denn wenigstens leise laufen würde, falls man es schon nicht mag. Aber keine Musik ist natürlich noch besser. Find ich gut.”

Sag ich doch, nette Fahrgäste. Wie geht das sonst: “Ey Alter, kannste mal Mucke anmachen?” Wär ja nicht schlimm, wenn ein solcher Frager nicht nach dem Anstellen des  Radios immer auch gleich seine Stimme um 50 Dezibel lauter drehen wĂĽrde.

 â€śHat Ihr Wagen tatsächlich schon ĂĽber 500.000 km gelaufen?”

Oha, die unvermeidliche Diskussion ĂĽber alte Taxen steht bevor.

“Ja, aber ist immer noch der erste Motor drin.”
“Nicht schlecht, wie lange hält so ein Taxi-Motor denn eigentlich?”
 â€śManche hier in Oldenburg haben schon 1 Million runter und laufen immer noch.”
“1 Million? Das ist ja kaum zu glauben! Hält der Rest vom Auto denn auch so lange? Das soll keine Kritik sein. Dieser Wagen ist ja noch ganz gut in Schuß.”

Irgendwie muĂź ich mich von dieser alten Kutsche distanzieren.

“So ein paar Teile sind natürlich mit der Zeit fällig. Radlager, Differential, Getriebe usw. Ich hätte ja gerne nen neuen Wagen, doch mein Chef sagt immer ...”
“...  er warte lieber, bis neue Modelle ausgereift sind, nicht wahr. Ich sage Ihnen, er hat recht. Wenn man Frischlinge kauft, gibts manchmal schon ganz schöne Reinfälle. Und selbst Mercedes sind nicht mehr das, was sie  mal waren. Die jetzige E-Klasse hatte anfangs groĂźe Probleme mit der Elektronik und den Innenverkleidungen, die einfach abfielen. Das gab ganz schön Ă„rger. Die Angeschmierten kauften dann zur Revanche oft Passat oder Volvo, lächerlich. Ich wĂĽrde warten.”
“Aber dieser Wagen ist doch ganz schön hinter der Zeit zurück. Der hat keine Airbags, kein ASR und ESP und diesen ganzen Kram. Das muß heute einfach sein, dann kann fast nichts mehr passieren. Sie haben doch auch einen Wagen? Der hat das doch bestimmt schon, oder?”
“Nein, ich hab einen ganz alten Audi, der hat nichts von all dem. Das meiste davon braucht man eigentlich nicht.“

Ich staune.

“Sehen Sie, Sie hatten doch ziemlich MĂĽhe, das Gepäck zu verstauen. Was  hätten Sie eigentlich gemacht, wenn das Gepäck nicht in den Kofferraum gepaĂźt hätte?”
 â€śIch hätte versucht, auf die Schnelle einen unserer Kombis fĂĽr Sie zu bestellen.”
“Und was wäre dann aus Ihnen geworden?”
“Ich wär wieder zum Taxistand gefahren und wohl nach einiger Zeit zu einem anderen Kunden geschickt worden.”
“Hätten Sie sich nicht geärgert, daß Ihnen diese Fahrt entgeht?”
“Schon.”
“Aber Sie haben GlĂĽck gehabt, daĂź alles in Ihren alten 124er hineinpaĂźte. Ich fahre oft Taxi und habe schon bemerkt, daĂź in die  neuen Taxen immer weniger rein geht. Die haben immer kleinere Kofferräume. Selbst in eine neue E-Klasse geht weniger rein als in die alte. Und das gilt erst recht fĂĽr die anderen neuen Wagen, Passat-Limousine, C-Klasse, Volvo, 5er BMW und so.”
“Ja, aber die neuen Autos sind doch immer sicherer und bequemer als die  alten. Das ist doch auch wichtig. Immerhin ist Taxifahren nicht ganz billig.”
“Haben sie denn noch nicht bemerkt, daĂź die Autos  zwar immer größer aber auch immer schwerer werden? Aber an den Innenraum, das Gepäck und den Spritverbrauch denkt offenbar kein Hersteller.”
“Äääh ...”
“Offensichtlich nicht. Sehen Sie, Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten lieber einen neuen Wagen mit besserer Sicherheitsaussattung usw.”
“Ja.”
“Wissen Sie eigentlich, wieviel dieses ganze Zeug wiegt? ABS? Toll, aber ich kenne keinen, der das jemals wirklich gebraucht hätte. ESP? Wozu?”
“Aber die A-Klasse ist doch ohne ESP umgefallen!”
“Wer auĂźer Test- oder  Rennfahrern gibt denn schon beim Ausweichen Gas, also ich bremse jedenfalls. ASR? Was fĂĽr ein Quatsch. Die Hersteller bauen selbst in Mittelklassewagen Diesel-Motoren ein mit 100, 150 oder gar 200 PS. Wenn man nicht gerade einen Wohnwagen hinter sich hat, braucht man sowieso nur einen Bruchteil davon. Aber bei diesen riesigen Drehmomenten ist dann natĂĽrlich ein Regler nötig, der den Motor zĂĽgelt, weil sonst  ständig die Räder durchdrehen wĂĽrden.”
“Aber das schont doch auch die Reifen!”
“Es geht doch viel einfacher: Weniger PS und den GasfuĂź zĂĽgeln. Trotz ASR beschleunigen solche starken Fahrzeuge enorm, und dann braucht man irgendwann stärkere  Bremsen, weil man sonst ĂĽberall reinfahren wĂĽrde. Dieser ganze Quatsch hat zur Folge, daĂź die Autos immer mehr wiegen. Tja, und weil sie mehr wiegen, muĂź das Blech immer noch stärker und schwerer werden, um einen Zusammenprall mit anderen zu verkraften. Das ist doch eine Endlosschleife. Ich sage Ihnen, das einzige, was Sicherheit bringt, sind Airbags, zumindest wenn man sich trotzdem noch anschnallt. Merken Sie nicht, daĂź die Hersteller Ihnen einfach nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen? Gehen Sie mal hin und sagen: “Ich möchte einen größeren Kofferraum, weil mir am Bahnhof sonst ständig die Touren durch die Lappen gehen.” Wissen Sie, was die Ihnen sagen werden? “Kaufen Sie sich doch nen Bus, bei PKW bieten wir das Optimum an.” Freuen Sie sich ĂĽber Ihren als Benz, solange Sie ihn noch fahren können.”

Ruhe

“Da sind Sie sprachlos, was? In ein paar Minuten sind wir da, würden Sie uns übernächsten Sonntag auch wieder abholen? Wir haben uns nett unterhalten, und vielleicht haben Sie ein paar Einsichten hinzugewonnen. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich in Zukunft gerne immer mit Ihnen fahren. Na ja, zumindest, solange Sie nicht auch so ein Taxi fahren, daß keiner braucht. Dann verzichte ich lieber.”
“Ääh, ja gerne.”

Mein Chef wird begeistert sein. Aber wenn ich an die Kollegen denke ...
(wag)

 

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